Auf die Plätze, fertig ….. Stau

Vernünftige Startaufstellung
von Andreas Oschmann
Eine leistungsentsprechende Startaufstellung ist nicht nur eine Frage sportlicher Fairness, sondern vor allem eine Frage der Vernunft. Wer sich als „Mittelfeldläufer“ in die erste Reihe mogelt, behindert die schnelleren Athleten und begrenzt sich auch selbst in seinen Möglichkeiten. Wer dann noch der Meinung ist, die hart erkämpfte Poleposition auf den ersten Metern um jeden Preis verteidigen zu müssen, liegt grundsätzlich falsch.
Um ein optimales Wettkampfergebnis zu erreichen, müssen zu hohe Laktatkonzentrationen im Blut vermieden werden. Laktat entsteht immer dann, wenn mehr Sauerstoff für eine Leistung verbraucht wird, als das Herz-Kreislauf-System zur Verfügung stellt. Diese Belastungsform nennt man „anaerob“. Anaerob bedeutet ebenfalls, dass eine derartige Leistungssintensität nur für einen begrenzten Zeitraum aufrecht erhalten werden kann. Je höher die erreichten Laktatwerte sind, desto schneller kommt es zum Belastungsabbruch. Grundsätzlich geht es also darum, dasjenige streckenabhängige Wettkampftempo herauszufinden, das die Laktatproduktion in tolerierbaren Grenzen hält. Je länger das Rennen, desto geringer werden die anaeroben Anteile an der Energiebereitstellung.
Differenz und Pulsfrequenz
Wenn die Herzschlagfrequenz (Puls) nicht ausreicht, um dem Organismus den benötigten Sauerstoff zur Verfügung zu stellen, kommt es zur Laktatbildung. Prinzipiell hat jede Laufgeschwindigkeit ihre eigene, individuelle Pulsfrequenz. Diese ist von Faktoren wie Leistungsfähigkeit, Streckenbeschaffenheit, Tagesform etc. abhängig. Im Bereich niedriger Intensitäten entwickeln sich Tempo und Pulsfrequenz weitgehend linear im Sauerstoffgleichgewicht. Erst wenn das Tempo so hoch wird, dass es trotz hoher Pulsfrequenzen zu einem Sauerstoffdefizit kommt, entsteht eine anaerobe Belastung, die in steigenden Laktatwerten ihre Entsprechung findet. Und je größer die Differenz aus der für eine bestimmte Laufgeschwindigkeit notwendigen Pulsfrequenz und der tatsächlichen Pulsfrequenz ist, desto größer ist der anaerobe Anteil an der Energiebilanz. Nun wird auch verständlich, weshalb die ersten Minuten eines Wettkampfes eine durchaus „laktatkritische“ Phase darstellen.
Nicht sauer werden
Stellen wir uns vor, dass sich ein Teilnehmer direkt an der Startlinie platziert, seine Pulsfrequenz zeigt sich erregungsbedingt leicht erhöht mit beispielsweise gut 100 Schlägen pro Minute. Dann ertönt der Pistolenschuss und innerhalb weniger Sekunden hat er ein Lauftempo erreicht, das einer Pulsfrequenz von 170 Schlägen pro Minute entspricht. Tatsächlich erreicht der Sportler diese Pulsfrequenz erst deutlich später. Er bewegt sich somit in hohem Maße anaerob und seine Beine werden „sauer“. Wenn er anschließend versucht, das Rennen an der individuellen anaeroben Schwelle (IAS) zu laufen, wird das Laktat aus der Startphase nicht mehr abgebaut, da sich Laktatproduktion und Laktatabbau die Waage halten. Leider hat Laktat die sehr unangenehme Eigenschaft, dass es die Funktion der Muskulatur beeinträchtigt. Je länger der Wettkampf, desto wichtiger wird es, dass eine weitgehend laktatfreie Muskulatur ungestört ihre Arbeit tun kann.
Startaufstellung wie Zieleinlauf
Mit der oben exemplarisch geschilderten Situation hat sich der fiktive Läufer also einen doppelten Bärendienst erwiesen. Zum einen hat er durch einen individuellen „Blitzstart“ sehr hohe Laktatwerte in der Startphase produziert, zum zweiten hat er sich mit sehr großer Wahrscheinlichkeit relativ lange zu einem Tempo hinreißen lassen, das weit über seinen Möglichkeiten liegt. Was dann unweigerlich folgen muss, nennt man „Einbruch“. Ziel einer optimalen Startaufstellung ist es also, sich so einzureihen, dass das voraussichtliche Anfangstempo den eigenen Möglichkeiten entspricht. Je verhaltener Sie beginnen, also je geringer die Differenz aus tatsächlicher Pulsfrequenz und eigentlich notwendiger, tempoabhängiger Pulsfrequenz ist, desto weniger Laktat wird gebildet. Um Ihren optimalen Startplatz zu finden, orientieren Sie sich am besten am Gesamteinlauf Ihres letzten Wettkampfes. Sind Sie unter den Top Ten eingelaufen, dann ist gegen die erste Startreihe nichts einzuwenden. Haben Sie dagegen als schwächerer Läufer 90 Prozent des Feldes erfolgreich vor sich ins Ziel getrieben, dann ist es ratsam, sich beim nächsten Mal entsprechend zu positionieren.
Der Autor Andreas Oschmann ist der Entwickler der Online-Trainingsberatung go!-coach.
PS: Im Original ist dieser Artikel in RUNNING - Das Laufmagazin erschienen.