Die entscheidenden Tage vor dem Marathon
Teil 2
von Andreas Oschmann
Schwerwiegende Trainingsfehler in der Woche direkt vor dem Wettkampf können die beste Vorbereitung zunichtemachen. Nur wer in diesen Tagen den goldenen Mittelweg zwischen Training und Regeneration findet, wird ein optimales Ergebnis erreichen. Ein alter, aber durchaus bewährter Grundsatz besagt, dass sich das Training an der Wettkampfherausforderung zu orientieren hat.
Je länger die Wettkampfdistanz (beispielsweise Marathon) ist, desto größere Trainingsumfänge sind – bei relativ geringer Intensität – zu wählen. Besteht die nächste sportliche Herausforderung dagegen in einem kurzen, schnellen Rennen, zum Beispiel über 5.000 Meter, müssen die Umfänge zugunsten einer höheren Intensität deutlich reduziert werden. In Bezug auf die Belastungen können diese höchst unterschiedlichen Wettkampfdistanzen aber durchaus vergleichbar sein.
Spezifische Wettkampfanforderungen lange trainieren
Ein individuell gutes Marathonergebnis kann nur erreicht werden, wenn die spezifischen Anforderungen an die Distanz so lange wie möglich im Training geübt werden. Es wäre ein schwerwiegender Fehler, die Vorbereitung dazu schon eine Woche vor der eigentlichen Wettkampfwoche als abgeschlossen zu betrachten und die letzten Tage nur noch regenerativ, ohne marathonspezifische Trainingsreize zu gestalten. Die Wettkampfwoche dient zwar primär der vollständigen Regeneration für das Rennen, dennoch können auch dann noch Trainingsreize gesetzt werden, die in Verbindung mit entsprechenden Pausentagen einen positiven Einfluss auf den Wettkampfverlauf haben.
Hoher Anspruch an den Stoffwechsel
Die Fähigkeit, 42,195 Kilometer von den Stoffwechselfunktionen her gut zu bewältigen, setzt voraus, dass der marathonspezifische Fettstoffwechsel regelmäßig gefordert wurde. Dies geschieht durch die so genannten „langen Läufe“ in der Vorbereitungsphase. Doch was spricht dagegen, einen solchen Lauf, wenn auch in abgeschwächter Form, in der Wettkampfwoche noch einmal zu absolvieren? Wenn dieser Lauf wirklich langsam ausgeübt wird und 20 bis 30 Prozent kürzer ist als die bisher trainierten „langen Läufe“, stellt diese Einheit nur noch eine unterschwellige Belastung dar. Wer zum Beispiel in der Marathonvorbereitung mehrere Läufe über 30 Kilometer absolvierte und keinerlei orthopädische Probleme hat, kann in der Woche vor dem Wettkampf durchaus noch einen lockeren Lauf über 20 Kilometer durchführen. Auf diese Weise wird dem Organismus noch einmal signalisiert, auf welche Belastungsform er sich kurzfristig einzustellen hat. Wenn der Wettkampf an einem Sonntag stattfindet, empfehle ich den Mittwoch für dieses Training. Wenn für den Donnerstag dann ein Ruhetag geplant wird, ist gewährleistet, dass die Regeneration dieser Einheit bereits am Donnerstagabend abgeschlossen ist.
Relativ hohes Tempo beim Marathon
Auch ein Marathon ist ein schneller Lauf. So reicht es auch für einen Marathon keinesfalls aus, im Training nur langsam zu joggen. Das Marathonrenntempo wird dann auf jeden Fall sehr viel höher sein, als das gewohnte Trainingstempo. Dies führt unweigerlich dazu, dass ein hohes Marathontempo nicht lange gehalten werden kann. Viele „Einbrüche“ sind darauf zurückzuführen, dass das Trainingstempo in der Marathonvorbereitung weitab von der Wettkampfrealität gewählt wurde. Ich rate deshalb jedem, sich anhand bisheriger Bestzeiten und Zeitprognosetabellen Gedanken über das mögliche Marathonrenntempo zu machen und dieses im Training regelmäßig zu absolvieren.
Zur Erinnerung
Ihr Organismus „kennt“ zwar Ihr Marathonrenntempo nicht, aber er „weiß“,was schnelles Laufen heißt. Deshalb sollten Sie ihn in der Wettkampfwoche noch einmal daran erinnern. Hierfür empfehle ich mindestens eine kurze, allerdings relative intensive Trainingseinheit in der Belastungsstufe (BST) 3 mit kurzzeitigen Intervallen oder Sprinteinlagen, die deutlich hochpulsiger sein können, als die Pulsfrequenz des angestrebten Marathontempos. Diese Intervalle brauchen nicht länger als eine Minute zu sein. Eine solche Kurzzeitbelastung bedeutet einen so geringen Anspruch an die Regeneration, dass Sie auch in einer Wettkampfwoche problemlos eingeplant werden kann. Diese Einheit bietet sich für den Freitag (wenn der Wettkampf am Sonntag ist) an, sodass der Samstag für die vollständige Regeneration zur Verfügung steht. Bei go!-coach wird die Trainingsintensität mithilfe von vier Belastungsstufen gesteuert (BST 1 bis 4). Die entsprechenden, individuellen Pulsfrequenzen werden in den Trainingsplänen genannt.
Der Autor Andreas Oschmann ist der Entwickler der Online-Trainingsberatung www.go-coach.com